»Den Chinesen auf dem Silbertablett serviert«
Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad über Gewinner und Verlierer der westlichen Sanktionspolitik gegenüber dem Iran – und warum diese Teherans Atomprogramm stetig weiter voranschreiten lässt.
Fidel Castro hat insgesamt elf amerikanische Präsidenten überlebt, obwohl die USA schon vor 53 Jahren ein Embargo gegen Kuba verhängten. Eignet sich dieses historische Beispiel als Beweismittel gegen die Wirksamkeit von Sanktionen.
Das kubanische, wie übrigens auch das irakische Beispiel, entspricht zumindest den empirischen Erkenntnissen der Sanktionsliteratur, wonach Embargos die Lebensdauer autoritärer Regime eher verlängern als verkürzen. Diese Herrschaftsstabilisierung rührt daher, dass Sanktionen in der Regel die einfache Bevölkerung treffen, während die Herrschenden in der Lage sind, die Sanktionskosten zu externalisieren. Somit erhöht sich der Machtvorsprung des Staates gegenüber der Gesellschaft. Aber das Beispiel Kuba zeigt doch eine weitere wichtige Parallele zum Fall Islamische Republik: Diese größtenteils ideologisch geprägten Staaten sehen ein Einlenken gegenüber Sanktionen als Zeichen der Kapitulation und proklamieren daher das Ausharren dagegen, propagandistisch als Widerstand verkauft, als einzig gangbaren Weg – ganz egal, wie hoch der Preis ist.
Seit über 30 Jahren verhängt der Westen gegenüber der Islamischen Republik Iran Sanktionen, die in der jüngsten Zeit drastisch verschärft wurden. Welche Auswirkungen haben diese auf die bürgerliche Mittelschicht, also jene gesellschaftliche Gruppe, die sich für demokratische Reformen einsetzt?
Darin liegt eines der eklatantesten Widersprüche der westlichen Sanktionspolitik. Jene Gruppen, denen der Westen die Rolle des Fahnenträgers einer ihm gegenüber freundlich gesinnten Demokratie zugesprochen hat, leiden am massivsten unter den Sanktionen. Daher stellt sich die Frage nach den längerfristigen Folgen dieser Politik, die auch zu einer tiefe Enttäuschung gegenüber dem harten Sanktionskurs Europas geführt hat.
Die jüngsten Sanktionen des Westens werden mit Irans Griff nach der Atombombe begründet. Hat das den Fortschritt des Nuklearprogramms signifikant verändert?
Irans Atomprogramm wurde nach Verhängung der lähmenden Sanktionen im Jahr 2006, im Vergleich zum Zeitraum davor, quantitativ erheblich ausgebaut. Ein Beispiel nur: Damals hatten wir es mit 1000 Zentrifugen zu tun, 2012 mit dem Zehnfachen. Somit kann nicht die Rede davon sein, dass das offizielle Sanktionsziel erreicht wurde. Denn auch hier spielt die oben genannte Trotzreaktion eine zentrale Rolle: Wenn der Westen unser Recht auf ein Atomprogramm streitig machen will, dann werden wir umso verbissener auf dieses Recht pochen. Die Frage nach der Fähigkeit zum Atombombenbau jedoch ist eine politische und hat nichts mit Sanktionen an sich zu tun. Das Problem besteht eher darin, dass Sanktionen integraler Bestandteil der westlichen Erpressungspolitik im Nuklearstreit sind und als solche ein ungeeignetes Mittel sind, um egal welche Politikänderung Irans herbeizuführen.
Welche kulturellen Auswirkungen haben die Sanktionen auf Iran? Bewegt sich die iranische Gesellschaft mental nun eher in Richtung Osten?
Es ist zumindest eine vom Westen aufgezwungene mentale, aber auch materielle Orientierung gen Osten. Da vielen Iranern der Weg in den Westen verbaut wird, sei es durch eine willkürliche Visumspolitik oder durch finanzielle Hürden infolge des auch sanktionsbedingten Verfalls der iranischen Währung, steigt die iranische Emigration in den asiatischen Raum, wie zum Beispiel nach Malaysia.
Hat sich durch die Sanktionen der chinesische Einfluss im Iran verstärkt – und kann er die durch die Sanktionen entstandenen ökonomischen Schäden aufheben?
Der europäische Rückzug unter amerikanischem Druck hat Iran den Chinesen auf dem Silbertablett serviert – wofür die Chinesen übrigens sehr dankbar sind. Die wirtschaftliche Präsenz Chinas im Iran ist flächendeckend: Vom Ausbau der Teheraner Metro bis hin zu Explorationsrechten in den Öl- und Gasfeldern des Persischen Golfes. Vor allem die durch Sanktionen teilweise gelähmte technokratische Mittelschicht Irans sieht diese Entwicklung mit großer Besorgnis, da zum Beispiel ein gesunder Wettbewerb zwischen ausländischen Auftragnehmern ausbleibt und die iranische Produktion auf hochwertige Technologie aus Europa verzichten muss – mit negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche und technologische Entwicklung des Landes. Alles in allem kann der Schaden kaum wettgemacht werden. Das sieht man zum Beispiel auch daran, dass Irans größte Ölabnehmer – China, aber auch Indien – unter Verweis auf Sanktionen statt mit Devisen mit Gütern unterschiedlichster Art »bezahlen« – de facto ein »Ramsch-für-Öl«-Programm. Der kulturelle Einfluss Chinas dürfte aber zunächst begrenzt bleiben, da die Iraner eigentlich mehr gen Westen schauen – nunmehr aber gepaart mit einer tiefen Enttäuschung.
Hat das Regime also gar kein Interesse an einem Ende der Sanktionen?
Jedenfalls können das Regime und die gegenwärtige Machtstruktur mit ihnen leben. Und regimenahe Entitäten wie die Revolutionsgarden konnten gar ihr Wirtschaftsimperium zum Leidwesen ziviler Unternehmen ausbauen. Und auch die Iranisch-Chinesische Industrie- und Handelskammer platzt mit circa 40 Milliarden US-Dollar bilateralen Handelsvolumens aus allen Nähten – auf Kosten inländischer Produzenten und Arbeitsplätze.
Die Sanktionen des Westens gegenüber dem Irak in den 1990er Jahren führten dort zu einer humanitären Katastrophe. Ist so eine Entwicklung auch im Iran zu erwarten?
Zweifelsohne wirkten Sanktionen im Irak wie eine Massenvernichtungswaffe, die das Land bereits vor der Invasion 2003 de facto zerstörten. Leider ist eine ähnliche Aussicht im Falle Irans nicht auszuschließen. Eine humanitäre Notlage ist bereits seit Monaten zu beobachten, da eine Reihe von lebenswichtigen Medikamenten aufgrund der Finanzblockade nicht mehr importiert werden kann. Denn es sind eben jene Bank- und Finanzsanktionen, in deren Zuge sämtliche zivile Branchen gelähmt werden. Ob beabsichtigt oder nicht, die Sanktionspolitik führt täglich zu immensem Leid bei just jenen, die es zu verschonen vorgibt. In diesem Sinne müsste man im Geiste des kürzlich verstorbenen Humanisten und Staatsmannes Stéphane Hessel sagen: Empört Euch!
QUELLE
Ali Fathollah-Nejad (2013) “Sanktionen verlängern die Lebensdauer autoritärer Regime” [Sanctions Prolong the Lifespan of Authoritarian Regimes], interviewt von Ramon Schack, Telepolis, 14. März;
▪ republished as “»Den Chinesen auf dem Silbertablett serviert«: Sanktionen gegen den Iran” [»Handing Iran to China on a Silver Plate: Sanctions against Iran], Zenith Online, 2. April;
▪ wiederveröffentlicht auf aixpaix.de: Aachener Friedensmagazin, 14. März;
▪ wiederveröffentlicht auf ZNet Deutschland, 9. April;
▪ wiederveröffentlicht auf AG Friedensforschung, 15. April.
RESONANZ
- Verlinkt auf: Sicherheitspolitische Presseschau, Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), 4.4.2013.
- Jürgen Wagner (2013) “Iran: Neue Sanktionen“, IMI-Aktuell, Nr. 2013/293 (1. August), Tübingen: Informationsstelle Militarisierung (IMI):
“Während der designierte neue iranische Präsident Hassan Rouhani Berichten zufolge mit Mohammad Javad Zarif einen Außenminister ernennen will, der als Pragmatiker mit einer hohen Bereitschaft für eine Aussöhnung mit dem Westen gilt, hat das US-Repräsentantenhaus umgekehrt nun nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme beschlossen: Lediglich drei Tage vor Amtsantritt des neuen iranischen Präsidenten Rohani wurden neue Sanktionen gegen das Land verabschiedet, wie Spiegel Online heute berichtet. Den kontraproduktiven Effekt von Sanktionen hat u.a. Ali Fathollah-Nejad immer wieder beschrieben.”