Iran: Die falsche Medizin
Im Iran stehen die Zeichen auf Krieg: Israel drängt, Obama blockiert mehr schlecht als recht und Europa verliert sich in der Illusion, einen militärischen Krieg durch wirtschaftliche Sanktionen verhindern zu können. Was bei alldem oft übersehen wird: Sanktionen – eigentlich dazu gedacht, den iranischen Machthabern politische Zugeständnisse abzutrotzen – haben maßgeblich zur Zuspitzung der Lage beigetragen.
Zwar sind Sanktionen gegen den Iran nicht neu, in ihrer gegenwärtigen Qualität aber sind sie beispiellos. Über die Jahre hat sich im Zuge des Atomstreits ein umfassendes Netz von uni- und multilateralen sowie formellen und informellen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen ausgebreitet. Oft wird behauptet, diese Sanktionen seien „intelligent“ und es wäre möglich, sie „gezielt“ einzusetzen; sie seien also in der Lage, das als „böse“ Identifizierte mit nahezu chirurgischer Präzision zu enthaupten. Nicht selten werden Sanktionen dabei geradezu als ein friedliches Mittel der Politik, gar als eine alternativlose Versicherungspolice gegen einen Waffengang beschworen. Die gigantischen Kollateralschäden, die das vermeintlich präzise Instrument der Sanktionen hervorbringt, bleiben bei dieser Rhetorik allerdings außer Acht.
Vor allem aber seien Sanktionen im Fall des Iran deswegen unabdingbar, um dessen atomare Ambitionen aufzuhalten – so lautet ein Kernargument ihrer Befürworter. Bei genauerem Hinsehen läuft dieses jedoch ins Leere. Denn der Iran hat in der Vergangenheit ungeachtet der Sanktionen sein Atomprogramm ausgebaut, dessen zähes oder zügiges Vorankommen Resultat politischer Entscheidungen in Teheran ist. In westlichen Sicherheitszirkeln ist längst bekannt, dass das iranische Kosten-Nutzen-Kalkül hinsichtlich des Atomprogramms nicht etwa von wirtschaftlichem Druck abhängt, sondern von der Einschätzung seiner als prekär betrachteten Sicherheitslage.
Dennoch forciert Washington seit 2004 die Isolierung des iranischen Banken- und Finanzwesens massiv. Entsprechend dem berühmten Diktum von George W. Bush „Entweder Ihr seid mit uns oder gegen uns!“ haben die USA Finanzeinrichtungen und Firmen weltweit vor die Wahl gestellt. Die meisten entschieden sich zugunsten des wichtigen amerikanischen Wirtschaftsraumes und kappten ihre Iran-Kontakte – die Europäer vorne weg. Der amerikanische Druck zeigte Wirkung: Der bis dato legale Handel mit dem Iran wurde zunehmend illegalisiert, die als punktuell deklarierten Sanktionen nahmen ein gigantisches Ausmaß an.
Der Effekt im Iran war fatal: Die ohnehin durch Kleptokratie und eine verfehlte Wirtschaftspolitik im Argen liegende iranische Ökonomie stürzte noch weiter in die Krise. Ein Teufelskreis nahm seinen Lauf: Sanktionsbedingt stiegen branchenübergreifend die Kosten für Importe rasant an, was die Produktionskosten in die Höhe trieb. Galoppierende Verbraucherpreise bei vielen wichtigen Gütern – nicht zuletzt bei Nahrungsmitteln – waren das Resultat.
Zementierung des Machtapparats
Das vorgegebene Ziel erreichten die Sanktionen hingegen nicht: nämlich die Revolutionsgarden, die aufgrund ihrer herausragenden Stellung im Machtapparat[1] ins Fadenkreuz des „Westens“ geraten sind. Anstatt den Einfluss dieses sich ausweitenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Konglomerats zurückzuschrauben, spielten die Sanktionen diesem sogar in die Hände. Im Zuge der dramatischen Schwächung der privaten Wirtschaft – hervorgerufen durch den Boykott durch ausländische Firmen, Banken, Versicherungen und Logistiker – konnten die Garden und andere regimenahe Akteure ihre ohnehin dominante wirtschaftliche Position weiter ausbauen. Denn nur letztere verfügen über die Ressourcen, um die sanktionsbedingten Mehrkosten aufzufangen; durch Schmuggel an den Landesgrenzen eigneten sie sich überdies ein Monopol auf wichtige Einfuhren an und konnten dabei hohe Profite verbuchen.
Seit den Präsidentschaftswahlen 2009 befindet sich das Regime in der ernsthaftesten Krise seit seinem Bestehen: Autoritäre Herrschaft und Fraktionskämpfe innerhalb der tonangebenden politischen Rechten bestimmen das Bild. Die gegenwärtige Machtkonfiguration wurde durch die Sanktionspolitik des „Westens“ ironischerweise noch gefestigt. Nicht nur wirtschaftlich profitieren die Revolutionsgarden, sondern auch politisch: Die andauernden Kriegsdrohungen haben, im Zusammenspiel mit der von der Bevölkerung ausgehenden Demokratisierungs-„Gefahr“, die Garden längst zum Dreh- und Angelpunkt der iranischen Politik werden lassen.
Verlierer Europa
Seit dem Jahreswechsel treiben die USA ihre Sanktionspolitik auf die Spitze: Sie stellen all jene unter Strafe, die mit dem Ölgeschäft zusammenhängende Transaktionen mit Irans Zentralbank tätigen. Die EU kündigte indes ihrerseits für Juli ein Ölembargo an. Doch neben den viel diskutierten Folgen für die Weltwirtschaft – insbesondere der Gefahr eines dramatischen Ölpreisanstiegs – bleiben die Konsequenzen für die inneriranischen Verhältnisse selbst unerwähnt: Der Boykott der Zentralbank führte bereits dazu, dass die Einnahmen aus dem Ölgeschäft bis auf Weiteres im Abnehmerland „parken“ und somit zweistellige Milliardenbeträge der Volkswirtschaft nicht zur Verfügung stehen. Zudem öffnet ein solches Embargo durch undurchsichtige, an der Zentralbank vorbeilaufende Zahlungen der Korruption der Teheraner Herrschaftselite Tür und Tor. Überdies werden zunehmend auch die humanitären Schattenseiten der Sanktionen sichtbar: Medikamente verteuern sich oder sind gar nicht mehr zu haben, Getreidelieferungen erreichen das Land nicht, da die Iraner durch den Ausschluss vom internationalen Zahlungsverkehr nicht dafür aufkommen können. Der rasante Absturz der Landeswährung und explodierende Preise verschärfen die Not der Menschen.
Und auch auf die Sanktionierenden selbst werden sich die Sanktionen aller Voraussicht nach negativ auswirken. Denn mit einem Ölembargo seitens der EU – nach China der zweitgrößte Abnehmer iranischen Öls – stellt sich die Frage nach deren Energiesicherheit drängender denn je. Peking hingegen nützt ein solches Embargo: Nicht nur hat es die Europäer infolge der Sanktionen inzwischen auf dem iranischen Markt ersetzt, China profitiert auch von einer weiteren Verbilligung seiner Ölbezüge aus dem Iran und kann im Gegenzug als „Zahlung“ den iranischen Markt mit Billigprodukten fluten. Auch Russland und Saudi-Arabien dürfte ein Anstieg des Ölpreises entgegenkommen: Riad hätte noch mehr Geld für die Ausstattung radikalislamistischer Gruppen in der Region zur Verfügung und Moskau gelänge es weiterhin, den Iran als europäischen Energielieferanten und somit als Konkurrenten auszuschalten. Während also Europa durch sein eigenes Ölembargo wirtschaftliche Einbußen hinnehmen müsste, werden die Nutznießer des sich abzeichnenden Wirtschaftskrieges noch weniger an einer Beilegung des Iran-Konfliktes interessiert sein und ihn womöglich sogar unnötig in die Länge ziehen. Über allem aber steht die Gefahr, dass es mit Beginn des Ölembargos zu einem kriegsauslösenden Zusammenstoß im hochmilitarisierten Persischen Golf kommen könnte.
Zivilgesellschaft im Belagerungszustand
Auch die weitverbreitete Annahme, dass Sanktionen zwar der Gesellschaft wehtäten, aber auf lange Sicht erfolgversprechend wären, bedarf einer dringenden Klärung. Wie Ökonomen in Studien dargelegt haben, treffen die gegenwärtigen Sanktionen in erster Linie die Mittel- und Unterschicht sowie junge Menschen.[2] Damit wird aber auch die Grundlage einer zukünftigen Demokratisierung ausgehöhlt. Wie bereits im Falle des Irak zu beobachten, befördern die durch Sanktionen hervorgerufene ökonomische Deprivation und eine durch die äußere Drohkulisse forcierte Militarisierung patriarchalische Strukturen und unterminieren die gesellschaftliche Stellung von Frauen.[3] Der Iran stellt – zieht man die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Sanktionsfolgen in Betracht – ein, wenn auch trauriges Paradebeispiel dar: In die Enge getriebene autoritäre Regime erhöhen die Repression gegen die Opposition und wälzen die Sanktionskosten auf die Bevölkerung ab, ihre Herrschaft wird dadurch in der Regel noch verlängert. Kurzum: Das Regime baut seinen Machtvorsprung gegenüber der Zivilgesellschaft immer weiter aus.
Obgleich die Kontraproduktivität der Iran-Sanktionen mittlerweile kein Geheimnis mehr ist, wird immer wieder nach ebenjenen gegriffen – was Ausdruck ihrer angeblichen Alternativlosigkeit sowohl bei westlichen Politikern als auch einem Teil der iranischen Diaspora ist. Wird dennoch der Verzicht auf die äußere Drohkulisse und auf Sanktionen gefordert, wird schnell der Vorwurf des Appeasement laut – auch wenn kaum von der Hand zu weisen ist, dass beide Instrumente zivilgesellschaftliche Räume empfindlich einengen.
Dass der Konflikt nunmehr an der Schwelle zum Krieg steht, kann insofern kaum verwundern. Von Anfang an bestand die westliche Strategie darin, den Iran so sehr unter Druck zu setzen, dass dieser im Sinne des „Westens“ Zugeständnisse macht, bei regionalen Fragen wie auch beim Atomprogramm. Was weiterhin als eine ausgewogene „Zuckerbrot-und-Peitsche“-Politik firmieren darf, nennt man in diplomatischen Studien unumwunden Zwangsdiplomatie.
Diese „Zwangsdiplomatie“ war nicht etwa auf einen – für eine Konfliktlösung unabdingbaren – Interessenausgleich gemünzt, sondern zielte auf eine de-facto-Kapitulation des Iran.[4] Damals wie heute krankt die westliche Politik daran, das legitime iranische Sicherheitsinteresse einfach ignoriert zu haben.
Heute sind die Scherben der angeblich zweigleisigen „Zuckerbrot-und-Peitsche“-Politik für jedermann sichtbar. Denn während unentwegt die Peitsche geschwungen wurde, von Sanktionen, Kriegsdrohungen bis hin zu einem bestenfalls tolerierten verdeckten Krieg, fiel das Zuckerbrot unter dem Tisch. Die Fatalität dieser Iran-Politik kommentierte der konservative US-Außenpolitikberater Zbigniew Brzezinski jüngst mit den Worten: „Je mehr man gen Zwang und Nötigung tendiert, desto stärker wird die Aussicht auf Krieg, wenn diese Politik scheitert.“[5]
Eine Iran-Politik jenseits von Sanktionen und Krieg
Anstatt Energie darauf zu verwenden, wie der Iran am Besten in die Knie gezwungen werden kann, sollte diese endlich dafür eingesetzt werden, den Rahmen für eine Iran-Politik jenseits von Sanktionen und Kriegsdrohungen zu schaffen. Denn auch eine auf Aufrüstung der benachbarten arabischen Diktaturen ausgelegte Eindämmungspolitik wird den Konflikt nicht dauerhaft beilegen können.
Die USA und die Europäische Union müssten der israelischen Regierung unumwunden deutlich machen, dass sie einen Krieg ablehnen. Denn ein um sein regionales Atomwaffenmonopol besorgtes Israel beschwört einen auch für seine eigene Sicherheit unkalkulierbaren Krieg regelrecht herauf.[6]
Eine tatsächliche, am Völkerrecht orientierte und auf die legitimen Sicherheitsinteressen der Gegenseite eingehende Diplomatie darf durchaus mit Erfolg rechnen. Denn zwischen dem Westen und dem Iran mangelt es nicht an einem Potential tragfähiger Kompromisse: In regionalpolitischen Fragen etwa liegen die Interessen beider Seiten nicht weit auseinander. Ein Erfolg aber würde voraussetzen, sich von Maximalpositionen zu lösen. So müsste die unrealistische, aber immer wieder aufgestellte Forderung nach Aufgabe des iranischen Atomprogramms ein für allemal aufgegeben werden. Stattdessen könnten schärfere Inspektionen durchgesetzt und gleichzeitig die Sanktionen gelockert werden. Zudem ist es nahezu unabdingbar, die „militärische Option“ vom Tisch zu nehmen. Um das enorme Vertrauensdefizit zu mindern, müsste auch dem schon seit langem andauernden verdeckten Krieg gegen den Iran abgeschworen und die Auseinandersetzung ausschließlich an den Verhandlungstisch verlegt werden. Schließlich müsste ein Integrationsprozess eingeleitet werden, zu dem auch die Perspektive gemeinsamer Sicherheit in der Region gehört – nur so können empfundene oder tatsächliche Sicherheitsängste auf allen Seiten beigelegt werden. [7] Fallen Drohungen und Sanktionen tatsächlich weg, darf auch mit einer politischen Öffnung in Teheran gerechnet werden.
Das tiefsitzende Misstrauen zu überwinden, wird allerdings nicht einfach sein. Schließlich ist die Feindseligkeit auf beiden Seiten regelrecht „institutionalisiert”[8]. Eine für die meisten politischen Fraktionen gesichtswahrende Einigung müsste die als vital betrachteten „nationalen Interessen” in den Vordergrund stellen, denn anders lässt sich den mächtigen Partikularinteressen nicht entgegentreten. Es bedarf also dringend eines Prozesses, in dem nationale Interessenlagen identifiziert und Kompromisse auf Augenhöhe ausgehandelt werden.
Bleibt eine solche Kurskorrektur aus, ist die „Irakisierung“ des Iran zu befürchten. Die Sanktionen gegen Saddam Hussein zementierten damals nur dessen Macht und zehrten die irakische Gesellschaft aus. Auch wenn der anschließende US-geführte Feldzug als „Kinderspiel“ galt: Seine Folgen bleiben eine strategische Bürde – und eine menschliche Katastrophe.
Das Beispiel des Irak belegt: Sanktionen sind keine Heilung versprechende Medizin, sondern ein langsames Gift, das die Zivilbevölkerung zermürbt und den zivilgesellschaftlichen Nährboden austrocknet. Zugleich bewirken sie eine Zuspitzung des Konflikts, die den Ruf nach angeblich „chirurgischen Schlägen“ automatisch lauter werden lässt. Bomben auf den Iran jedoch würden erst recht eine „iranische Bombe” provozieren – für die Machthaber im Iran wären sie ein Lebenselixier. Die Aussicht auf eine Demokratisierung des Landes indes würden sie für lange Jahre unter sich begraben.
Unterm Strich zeichnen sich daher drei Szenarien ab. Erstens: Das Sanktionsregime wird die Herrschaft des Ajatollah Ali Khamenei und seiner Revolutionsgarden festigen. Zweitens: Es wird ein Krieg vom Zaun gebrochen, entweder durch einen israelischen Alleingang oder durch eine unvorhergesehene Kettenreaktion infolge der sich immer mehr zuspitzenden Lage. Oder aber drittens: Es setzt sich in westlichen Hauptstädten doch noch die Einsicht durch, dass Sanktionen und Kriegsdrohungen gegen den Iran ein gefährliches Gemisch darstellen und deshalb schleunigst beendet werden müssen.
[1] Vgl. Said Hosseini, Die Partei der Kasernen: Der Aufstieg der Wächterarmee, in: „Blätter”, 8/2009, S. 80-88.
[2] Vgl. etwa Djavad Salehi-Isfahani, Iran’s Youth, The Unintended Victims of Sanctions, in: Belfer Center for Science and International Affairs, Dubai Initiative – Policy Brief, Harvard University, 2010.
[3] Vgl. Nadje Al-Ali, Women, Gender Relations, and Sanctions in Iraq, in: Shams C. Inati (Hg.), Iraq. Its History, People and Politics, Amherst (NY) 2003; Mina Khanlarzadeh, Iranian Women and Economic Sanctions, in: „Z Magazine“, 2/2009.
[4] Vgl. auch Christoph Bertram, Wie der Westen Irans Bombenbau forciert, in: „Zeit Online“, 21.2.2012.
[5] Zit. nach „AFP“, 14.12.2011; Ali Fathollah-Nejad, Der Iran-Konflikt und die Obama-Regierung, Potsdam 2010.
[6] Vgl. David Grossman, Bevor unsere Ohren taub werden, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 13.3.2012.
[7] Vgl. Michael Brzoska, Oliver Meier und Götz Neuneck, Sieben Schritte auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung des Atomkonflikts mit dem Iran, Stellungnahme des Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) an der Universität Hamburg, 5.3.2012; Paul Schäfer und Jerry Sommer, Zeit für einen Strategiewechsel, in: „Blätter“, 6/2010, S. 104-112; Mohssen Massarrat, KSZMNO jetzt: Für einen KSZE-Prozess im Mittleren und Nahen Osten, in: „Blätter“, 2/2007, S. 212-220.
[8] Trita Parsi, A Single Roll of the Dice. Obama’s Diplomacy with Iran, New Haven, 2012.
QUELLE
Ali Fathollah-Nejad (2012) “Iran: Die falsche Medizin” (Iran: The Wrong Medicine), Blätter für deutsche und internationale Politik, Vol. 57, No. 4 (April), pp. 9–13. [pdf]
[Der Artikel gehört zu den am meisten gelesenen und zu den am besten bewerteten der Blätter.]
- Wieder abgedruckt in: Münchner Aufruf: Aufstehen für den Frieden – Kein Krieg gegen Iran, Newsletter, Nr. 2 (10. Juli 2012).
REAKTIONEN
“Die soziale Dimension des drohenden Krieges gegen den Iran“, Elektronische Zeitung Schattenblick, 14. April 2012, S. 7-9.